Samstag, 30. Juli 2016

Der K30 beim Swissalpine Marathon

An vielen Orten, in vielen Ländern gibt es attraktive große Volksläufe und Wettkämpfe. Derartigen "Lauftourismus" spare ich mir - normalerweise. In einem Fall aber wollte ich nun eine Ausnahme machen. Nachdem ich zweimal 30 Kilometer und einmal 33 Kilometer gelaufen bin, reizte mich ein Volkslauf zwischen Halbmarathon und Marathon. Es gibt nicht so viele Läufe "dazwischen". Vom K30 hatte ich schon gehört und zu der Gegend um Davos haben wir doch eine besondere Beziehung. Hier haben wir viele schöne Wanderungen unternommen und es reizte mich, in dieser Landschaft zu laufen.

Der Plan, mich für diesen Lauf in Davos anzumelden, reifte ziemlich schnell und kurz nachdem der Plan gefasst war, buchten wir eine Ferienwohnung und ich erledigte auch die Anmeldung. Es gibt keine fertigen Trainingspläne für einen 30-Kilometer-Lauf und nach fast sechs Jahren Lauferfahrung trainiere ich ohnehin nach Körpergefühl. Mein Körper signalisierte, dass ich in der letzten Woche vor dem großen Lauf nicht mehr laufen würde: stattdessen würde ich mich aufs Wandern als Alternativtraining beschränken.

In den vergangenen Tagen kamen immer mehr Läufer in Davos an, die meisten drahtig, superschlank, athletisch. Alle Läufer bekommen ein Regio-Ticket, mit dem sie an den Tagen um den Lauf das öffentliche Verkehrsnetz nutzen können. Wenn ich mein Ticket aus der Tasche holte, das mit "Swissalpine" beschriftet war, fühlte ich mich immer ein wenig wie eine Hochstaplerin und deplatziert, zumal ich nicht sehr sportlich aussehe. Nachdem wir gestern noch eine Wanderung mit einem Abstieg ins Tal unternommen hatten und ich danach meine Beine spürte, zweifelte ich noch mehr daran, dass ich es ins Ziel schaffen könnte. Nach einer unruhigen Nacht (normal vor einem solchen Laufevent) aber hatte ich Lust auf den Lauf und war auch motiviert, ihn durchzuziehen.

Kurz nach sechs Uhr war ich am Stadion in Davos, wo aus allen Richtungen Läufer ankamen, die zum K78, dem Ultramarathon, und dem K30 um sieben Uhr starten würden. Als typischer Morgenmensch war ich sehr froh über diesen relativ zeitigen Beginn des Laufs. Ich sah mich um, stellte mich an der Toilette an - das Übliche bei so einer Veranstaltung. Kurz vor sieben Uhr gingen nach und nach alle Läufer an den Start und ich reihte mich ganz am Ende ein. Als "Conquest of Paradise" von Vangelis ertönte, kamen mir Freudentränen, noch ehe der Lauf begonnen hatte. Wochenlang hatte ich für diesen Lauf trainiert und gleich würde es losgehen! Dann fiel der Startschuss und irgendwann lief auch ich über die Matten für die Zeitmessung. "Mein" K30 hatte begonnen.

Es ging zunächst nach Davos Dorf und von dort aus in einem Bogen wieder nach Davos Platz zurück. Obwohl es so früh am Morgen war, standen schon viele Leute an den Straßenrändern und feuerten alle Läufer an. Ich fand das sehr rührend und genoss es, freute mich dann aber auch, als es aus Davos hinaus ging. Dort, wo ich lief, herrschte nie Gedränge - alle etwas langsameren Läufer waren weit verteilt und meine Sorge war es, niemanden mehr vor mir zu sehen und irgendwann von der Strecke abzukommen, die ich ja noch nie gelaufen war. Aber diese Sorge erwies sich als unbegründet. Die Strecke war in regelmäßigen Abständen mit Fähnchen abgesteckt, an Kreuzungen oder Abzweigen waren Wege, die die Läufer eventuell in die Irre leiten könnten, abgesperrt, und in den Ortschaften standen Ordner, die einem den Weg wiesen.

Ich war froh, als es durch Wiesen und schließlich leicht bergauf in den Wald hinein ging. Alle Läufer in meiner Nähe begannen zu gehen, sobald es bergauf ging, und ich tat es ebenso, um Kräfte zu sparen. Oft ging es auch wieder bergab. Das Wetter war sehr schön und die Aussicht ringsum überwältigend. Genau darauf hatte ich mich gefreut: immer wieder bekannte Gipfel von der Strecke aus zu sehen. Inzwischen hatte ich auch mein Lauftempo gefunden und es klappte alles flüssig. Zwei erfahren aussehende Läuferinnen vor mir gingen in zügigem Tempo ein ganzes Stück durch den Wald. Ich dachte mir, die beiden wissen, was sie tun, und ging ebenfalls von kurz vor Spina (bei der Rinerhornbahn) bis zur 15-Kilometer-Marke vor Monstein, von wo es lange Zeit bergab ging. Wie die anderen Läufer nutzte ich diesen Streckenabschnitt, um schneller voran zu kommen.

Die Stimmung war komplett entspannt, ich dachte gar nicht ans Ziel und war einfach nur glücklich, auf dieser landschaftlich schönen Strecke unterwegs zu sein. Mir tat nichts weh, und irgendwann wurde mir klar: ich bin keine Hochstaplerin, sondern befinde mich auf einer Strecke, die ich finishen kann. Im Grunde genommen waren die Zweifel verflogen. Ich dachte an meine Familie und an Freunde, von denen ich wusste, dass sie an mich denken. Und als ich an der Bahnstation Monstein ankam, dachte ich an meinen Enkel und beschloss: die nächste Etappe nach Davos Wiesen widme ich gedanklich ihm.

Der Weg durch die Zügenschlucht ist das landschaftliche Highlight dieser Strecke, und ich war froh, sie erreicht zu haben und dort laufen zu können. Noch 10 Kilometer… aber als ich ein längeres Stück in der Sonne zu laufen hatte, begann ich mich auf mein nächstes Etappenziel zu freuen. Regelrecht erleichtert war ich über ein steiles Stück bergab und daraufhin einen kurzen Anstieg: hier konnte ich wieder gehen, wie auch die anderen Läufer um mich herum, und ich nutzte diese Gehpause zur Erholung. Nur noch ein Stück bergab, und ich konnte die Station Davos Wiesen sehen!

Ich bekam eine Gänsehaut. Davos Wiesen ist eine kleine, anheimelnde, rustikale Bahnstation, die sich auch im Erzgebirge oder im Tharandter Wald befinden könnte. Hier haben wir nach anstrengenden, aber schönen Wanderungen auf die Bahn nach Davos Platz gewartet. Und Davos Wiesen ist auch die letzte Verpflegungsstation vor Filisur. Hier wusste ich nicht nur, dass ich im Zeitlimit war, sondern mir wurde klar, dass ich ins Ziel kommen würde. Ich sah einen Mann am Wegrand ein Handy zücken und wich aus, weil ich dachte, dass er einen Läufer neben mir fotografieren will. Dann erst bemerkte ich, dass es Christian war, der mir zurief, dass ich es schaffen würde. Ich freute mich sehr und hatte gar nicht damit gerechnet, dass er hier stehen würde - eigentlich wollte er am Ziel auf mich warten.

Nach einer kurzen Essens- und Trinkpause durfte ich noch schnell die Gleise überqueren, ehe die Rhätische Bahn einfuhr, in die Christian steigen würde. Und ich lief über den berühmten Wiesener Viadukt - auch das war ein besonderer Moment. Nach dem Viadukt allerdings ging es in etlichen Kehren bergauf, wo ich wieder ging, statt zu joggen. Hier im Wald war ich lange Zeit allein, nur ab und an überholte ich ein paar Wanderer. Dann endlich ein Hinweisschild auf die letzten zwei Kilometer. Hier war es nun sonnig und sehr warm, aber das letzte Stück würde ich auch noch schaffen. In Filisur gab es wieder ermutigende Zurufe von den Leuten am Straßenrand, aus den Häusern und auch von Läufern, die bereits mit Finisher-Medaillen vom Ziel kamen. Und dann hatte ich es geschafft und nahm meine Medaille in Empfang. Christian erwartete mich, hatte schon erkundet, wo die Duschen und das Gepäck sind und versorgte mich mit Wasser, das er mitgebracht hatte. Die Versorgung unterwegs war zwar gut organisiert, aber man kann während eines Laufs nicht viel auf einmal trinken und somit konnte ich, zumal an einem warmen Tag, immer Flüssigkeit brauchen.

Ich bin glücklich und dankbar dafür, dass ich diesen schönen Lauf und die einmalige Stimmung genießen konnte, dass es mir dabei gut ging, nichts wehtat und dafür, dass ich im Ziel so liebevoll empfangen wurde. Danke für alles! Meine Nettozeit beträgt 4:34,36 und damit kann ich sehr zufrieden sein. Wer hier ab und an liest, weiß, dass ich eine langsame Läuferin bin, und zwar aus Überzeugung, weil mein Körper damit am besten klar kommt. Langsames Laufen hat, wie ich heute erfuhr, noch einen Vorteil: die Anzahl der Gepäckstücke am Ziel ist überschaubar, ich musste nicht lange suchen.

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